„Land schafft Kultur“ – Rückblick Labor Niederbayern

Unser letztes Labor für Kulturelle Bildung in Niederbayern war ein voller Erfolg: Mit dem Bus besuchten wir im Mai kreative Orte im nördlichen Niederbayern und lernten verschiedene Spielarten der Kulturellen Bildung in ländlichen Regionen kennen.

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3.5.2024 – Tag 1: Schiesslhaus AiR, Jugendcafé Zwiesel und Museum Rotes Schulhaus in Rinchnach

Gut 30 Teilnehmer*innen wurden im Schiesslhaus AiR in Kollnburg von Marion Glück-Levi (stv. Vorstandsvorsitzende, Landesvereinigung Kulturelle Bildung Bayern), vom Kollnburger Bürgermeister Herbert Preuß und vom Regener Landrat Dr. Ronny Raith begrüßt. Vincent Keldenich (wiss. Projektreferent „Land schafft Kultur“) stellte das Projekt “Land schafft Kultur” vor. Das Projekt der LKB:BY erforscht im Austausch mit Akteur*innen der Kulturellen Bildung, wie diese in den ländlichen Räumen gestärkt werden können.
Im anschließenden Impulsreferat mit Führung durch das denkmalgeschützte „Schießl-Haus“ in Kollnburg, Bayerischer Wald, gaben die Kuratorinnen Anna-Helena Klumpen und Katrin Savvulidi Einblicke in ihre Erfahrungen und Zukunftsvisionen für das SCHIESSLHAUS AiR, ein öffentlich gefördertes “Artist in Residence”-Programm und kultureller Veranstaltungsort mit Ausstellungen, Vortragsreihen, Workshops, Künstlergesprächen und Offenen Ateliers. Für die Kulturellen Bildungsangebote der Gast-Künstler*innen arbeiten die Kurator*innen mit Schulen und Kinder- und Jugendeinrichtungen in und um Kollnburg zusammen.
Nach dem Rundgang durch das Schießlhaus teilte sich die Gruppe, um in der Zukunftswerkstatt „Partizipatives Forschen” zum Thema der Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen Wissen zu sammeln, Bedarfe zu erkennen und Ideen zu entwickeln. In Kleingruppen tauschten sich Teilnehmer*innen aus Verwaltung und Praxis ebenso aus wie beim Mittagessen im Schießlhaus, das vom Team der Roten Res aus Bodenmais geliefert wurde.
Es folgte die Präsentation der am Vormittag erarbeiteten Ergebnisse, darunter die Bedarfe an langfristig und in der Fläche mehr konkreten Kultur- und Begegnungsräumen, mehr Beratung zum Thema Fördermöglichkeiten und hauptamtlichen Koordinationsstellen. Ideen für mobile Aktivitäten zur Überwindung der großen Distanzen wurden diskutiert.

Auf der Fahrt zum Jugendcafé Zwiesel informierte Kateryna Marc (Stiftung Jugendaustausch Bayern) die Teilnehmer*innen über die Fördermöglichkeiten von internationalem Jugendaustausch.

In Zwiesel besuchte die Gruppe das soziokulturelle Zentrum Jugendcafé Zwiesel, wo Maximiliane Vilser (Verband für Popkultur in Bayern e.V.) mit Jugendhaus-Leitung Christian Schwarz und Robin Gigl (Vorstand Jugendcafé Zwiesel) über das Jugendcafé und seine Bedeutung für die lokale Jugendarbeit sprach. Die seit knapp 40 Jahren existierende Einrichtung hat inzwischen eine Funktion als weicher Standortfaktor. Jugendliche fühlen sich kulturell wahrgenommen und repräsentiert und erfahren überregionale Strahlkraft. Träger ist der Verein für offene Jugendarbeit Zwiesel e.V., der für die Übernahme der städtischen Pflichten der Jugendarbeit ca. 50% der Kosten von der Stadt als Zuschuss erhält. Das Erfolgskonzept kombiniert intrinsische Motivation durch Mitgestaltung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit informeller Kompetenzweitergabe.

Letzte Station an diesem Tag war das Rote Schulhaus Rinchnach, das Johannes Maria Haslinger und Sandra Schütz 2018 gekauft und saniert hatten. Zusammen mit dem Musiker und Volkskundler Herrmann Wellner beantragten sie Fördergelder für eine Öffnung des Erdgeschosses als kulturelle Begegnungsstätte / Ausstellungsraum. Der eigens gegründete Verein hat inzwischen 59 Mitglieder. Die Eröffnungsausstellung zum Schulhaus selbst erwies sich als Türöffner zur Einbindung lokaler Kräfte. Weitere Ausstellungen behielten den lokalen Bezug bei, und die zuständige ILE-Regionalmanagerin unterstützt die Vernetzung mit Stiftungen und Schulen.
Nach dem gemeinsamen Abendessen rockten Häng On aus Frauenau das ehemalige Klassenzimmer mit bayerischem Americana-Sound.

4.5.2024 – Tag 2: Stadtrundgang in Freyung, Podiumsgespräch in der Freybühne, Bücherei Lalling

Die Teilnehmenden nutzten die Fahrzeit nach Freyung wieder zum Netzwerken und für kollegiale Beratung: Sebastian Hartings (Regionalbeauftragter Mitte LandKulturPerlen, LKB Hessen) bot in einem Workshop Zeit für Erfahrungsaustausch zu Fördermöglichkeiten . Mit dem Programm LandKulturPerlen stärkt das Land Hessen die Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen im Nachbarbundesland. Auch hier wurde wieder deutlich, dass eine erfolgreiche Navigation durch die unübersichtliche Förderlandschaft die Kompetenzen und die Zeitressourcen der Akteur*innen oft übersteigt. Großer Wunsch sind Fördermodelle, die mit wenig Aufwand und Nachweis eine regelmäßige Unterstützung erfolgreicher Arbeitsformate ermöglichen, sowie grundsätzlich Informationen zu den bestehenden Programmen, ihren Profilen und Fristen.

In Freyung stellten zwei lokale Kulturgestalter, Roland Pongratz von der Kulturagentur “Kultur und Konzept”, und Heinz Lang, stellvertretender Bürgermeister von Freyung, die erfolgreiche Bekämpfung des drohenden Leerstands und Verödung der Innenstadt vor. Mithilfe beherzter Erstinvestitionen, einer deutlichen Fokussierung auf kulturelle Aktivitäten und einer klugen Einbindung lokaler Unternehmen wurde dem Sterben des Einzelhandels Einhalt geboten, die Innenstadt wuchs sich zu einem gut frequentierten Treffpunkt aus. Die Volksmusikakademie im renovierten alten Langstadl der benachbarten Brauerei bietet Probenräume und Übernachtungsmöglichkeiten für Musiker*innen aus ganz Bayern und bringt so der Stadt einen regelmäßigen Zufluss an Gästen. Eine Buchhandlung beherbergt ein Café, ein großes Kino ist zugänglich über eine Modeboutique, im Europahaus besichtigten rund 30 Teilnehmer*innen eine Ausstellung eines lokalen Fotografen. Neben dem Kurhaus mit seiner großen Bühne gibt es die Freybühne, ein kleines gut ausgestattetes Theater.

Nach dem Mittagessen gab die Kulturreferentin des Bezirks Niederbayern Veronika Keglmaier Einblicke in Projekte und Förderangebote. Sie stellte den Aktionstag der Bildenden Kunst in Niederbayern vor, bei dem niedrigschwellig knapp 200 Bildende Künstler*innen ihre Ateliers und Werkstätten öffnen. Der Aktionstag wurde initiiert vom Berufsverband Bildendender Künstler und Künstlerinnen Niederbayern e.V., der auch an der Umsetzung beteiligt war. Über die Website Kunst-Niederbayern.de werden öffentliche Kunstwerke in Niederbayern dokumentiert. Im performativen Bereich ist seit 1998 das Kulturmobil inzwischen ein weit über die Region bekanntes Projekt: ein LKW, der mit ausklappbarer Bühne 30 Stationen vor allem im ländlichen Raum macht und kostenfrei für das Publikum je ein Kinder- und Erwachsenenprogramm. Slots for locals ist ein Pool an niederbayerischen Bands, aus der Veranstalter eine Auswahl für ihre Festivals treffen können, finanziert durch den Bezirk. Neben der finanziellen Unterstützung des Bezirks für die Instandsetzung und Erhaltung der 13.000 Baudenkmäler beteiligt sich eine Kulturstiftung finanziell an Projekten mit überregionaler Bedeutung.

Über die Frage „(Wie) Kulturelle Bildung im ländlichen Niederbayern stärken!?“ unterhielten sich beim von Anna Reitberger moderierten Podiumsgespräch Dr. Olaf Heinrich (Bürgermeister von Freyung; Bezirkstagspräsident Niederbayern), Eva Seidl (freie Tanzvermittlerin; Leitung Fokus.Tanz/Tanz und Schule e.V.), Hubert Huber (Bildhauer; Kunstvermittler; 1. Vorsitzender BBK Niederbayern) und Marion Glück-Levi (stv. Vorstandsvorsitzende, Landesvereinigung Kulturelle Bildung Bayern).

Marion Glück-Levi forderte politische Schützenhilfe in der Umsetzung von Kultureller Bildung. Diese müsse über die “Generierung von zukünftiger Kundschaft” hinausreichen und eine große Bandbreite der Aktivitäten umfassen. Außerdem sollten Alltagskultur und eigenwirksame Beschäftigung mit Hochkultur in den schulischen und den außerschulischen Bereich hineinreichen.
Dr. Olaf Heinrich hob neben dem “Kulturmobil”, für das sich inzwischen die Kommunen bewerben müssen, die Straubinger Schule der Phantasie hervor. Eine Partnerschaft zwischen den Kommunen und dem Bezirk sah er als Grundlage einer effizienten Förderung sowie eine Tradition der direkten Kommunikation und der kurzen Entscheidungswege.
Als einen Grund für die in Niederbayern so erfolgreiche Zusammenarbeit der fördernden Institutionen nannte Hubert Huber das Fehlen einer Metropole, die, wie etwa in Oberbayern München oder in Mittelfranken Nürnberg, Mittel und Ressourcen überproportional bindet.
Eva Seidl unterstrich das Verständnis von Tanzvermittlung als Kultureller Bildung, bei der Kinder und Jugendliche ohne technische Hürden sofort selbst ins Tun kommen. Sie beklagte, im Bayerischen Wald mit diesem Ansatz eher allein zu stehen und wünschte sich mehr Offenheit für Neues.
Hubert Huber hat das Projekt “Kunst an die Grundschulen” in Passau und Landshut vor 15 Jahren begonnen und führt es bis heute mit einem Volumen von ca. 27.000 € / Jahr fort. Eine langfristige, verlässliche Planung außerschulischer Projekte würde durch frühere Haushaltspläne erleichtert.

Nach einer weiteren Fragerunde machte sich die Gruppe mit dem Bus auf den Weg in die Bücherei nach Lalling. Dort wurden die Teilnehmer*innen vom Bücherei-Team, dem Bürgermeister von Lalling, Michael Reitberger, und vom stellvertretenden Landrat von Deggendorf, Josef Färber, begrüßt. Die ehrenamtlich Bücherei ist in Trägerschaft der Gemeinde und der Pfarrkirchenstifttung Lalling und wird durch den Sankt Michaelsbund Passau betreut und beraten. Der 2023 wurde sie ausgezeichnet mit dem Kinderbibliothekspreis. Im Gespräch mit der Büchereileiterin Anneliese Klampfl und der Diözesanbibliothekarin Hildegard Franz erfuhr die Gruppe viel über die kulturelle Grundversorgung, die die kleinen Büchereien in ländlichen Regionen leisten. Aber auch, dass klamme Kassen und eine sich verändernde Ehrenamtskultur der Existenz dieser wichtigen Kultur- und Bildungsorte, Treffpunkte und Veranstaltungsorte mancherorts zu Schaffen machen.
Das Labor klang aus mit einem tänzerischen Abschluss, angeleitet von Eva Seidl (Fokus.Tanz/Tanz und Schule e.V.) im Hauptraum des neu renovierten Zehentstadl direkt nebenan.
Wir bedanken uns herzlichst bei allen Teilnehmenden und vor allem bei den vielen Akteur*innen vor Ort, die mit Herzblut, Einsatz und Motivation zum Gelingen dieser Veranstaltung beigetragen haben.